FrĂźhkindliche Adipositasforschung im neuen Josef Ressel Zentrum der FH JOANNEUM
Wie hängt die frĂźhkindliche Ernährung â konkret Stillen beziehungsweise Flaschenernährung â mit Adipositas zusammen? …
Josef Ressel Zentrum fßr die Erforschung von Prädispositionen der perinatalen Programmierung von Adipositas
FH JOANNEUM
Eggenberger Allee 11
8020 Graz
Nutricia Milupa GmbH unterstßtzt die Forschung des Josef Ressel Zentrums fßr die Erforschung von Prädispositionen der perinatalen metabolischen Programmierung von Adipositas als FÜrderungs- und Kompetenzpartner.
Das Unternehmen ist der fßhrende Experte fßr die Ernährung in den ersten 1000 Tagen. Das Unternehmen widmet sich seit ßber 40 Jahren mit einem eigenen Muttermilchforschungszentrum, dem Nutricia Research Center in Utrecht, der Erforschung der optimalen Ernährung vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Kleinkindalter, wohl wissend, dass der Goldstandard Muttermilch auf industrielle Weise nie erreicht werden kann.
WHO (2013). Erklärung von Wien ßber Ernährung und nichtßbertragbare Krankheiten im Kontext von Gesundheit 2010. Ministerkonferenz der WHO zum Thema Ernährung und nichtßbertragbare Krankheiten im Kontext von Gesundheit 2020.
Wien: 4. bis . Juli, 2013.
WHO (2016). Report of the Commission on Ending Childhood Obesity, WHO 2016, ISBN 978 92 4 151006 6.
WHO (2016). Good maternal nutrition. The best start in life. Denmark: WHO Regional Office for Europe.
Wie hängt die frĂźhkindliche Ernährung mit Adipositas zusammen? Mit dieser Kernfrage beschäftigt sich das Josef Ressel Zentrum fĂźr die Erforschung von Prädispositionen der perinatalen metabolischen Programmierung von Adipositas. Das am Institut Hebammenwesen der FH JOANNEUM angesiedelte JR-Zentrum wird von der Christian Doppler Forschungsgesellschaft als Exzellenzprogramm fĂźr fĂźnf Jahre unterstĂźtzt. Finanziert wird das Forschungszentrum vom Bundesministerium fĂźr Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) und vom Unternehmenspartner Nutricia Milupa Ăsterreich.
Im Zuge eines inhaltlich umfangreichen Projekts wird die Entstehung von Adipositas erforscht. Konkret wird innerhalb der ersten 16 Lebenswochen von Neugeborenen untersucht, ob ein Unterschied im aufgenommenen Volumen zwischen gestillten und mit Formula ernährten Säuglingen besteht. Das Ernährungsverhalten in diesem Zeitraum kÜnnte bereits in frßhen Lebenswochen einen nicht mehr umkehrbaren metabolischen Pfad in Richtung der Entwicklung von Fettleibigkeit prägen. In der nachfolgenden Untersuchungsperiode bis zum zweiten Lebensjahr der Kinder werden weitere anthropometrische, biophysikalische und biochemische beziehungsweise klinische Parameter untersucht, die im Zusammenhang mit der Entstehung von Fettleibigkeit stehen.
Der hohe Innovationsgrad des Forschungsvorhabens liegt im Fokus auf die allererste Lebensphase von der Schwangerschaft bis zum zweiten Lebensjahr, in der die Mutter-Kind-Einheit multidimensional betrachtet wird. Daher erfolgt auch der thematische Zugang stark interdisziplinär: Expertinnen und Experten aus den Bereichen Hebammenwesen, Medizin, Pflege, Ernährung, Psychologie, Bioanalytik und Informationstechnologie arbeiten mit technologisch zeitgemäà ausgestatteter Infrastruktur an einschlägigen Fragestellungen rund um die Forschungsthematik.
Im Josef Ressel Zentrum fĂźr die Erforschung von Prädispositionen der perinatalen metabolischen Programmierung von Adipositas werden mĂśgliche Vorhersagevariablen fĂźr die Entstehung von Ăbergewicht und Adipositas multidimensional erforscht. Im Vordergrund steht dabei die Untersuchung des Einflusses der Qualität und der Menge der aufgenommenen Nahrung auf die Prägung von Ăbergewicht in den ersten 1000 Tagen. Als Probandinnen und Probanden werden normalgewichtige, gesunde Frauen und deren normalgewichtige, gesunde Kinder gesucht. Voll gestillte Kinder werden mit nicht gestillten â ausschlieĂlich mit Formula ernährten â Kindern verglichen.
Foto: FH JOANNEUM
Foto: FH JOANNEUM / David Jablonski
Foto: FH JOANNEUM
Foto: FH JOANNEUM / David Jablonski
Foto: FH JOANNEUM / Maximilian Thum
Foto: FH JOANNEUM / Manfred Terler
Eine der Hypothesen zur Erklärung der metabolischen Programmierung besagt, dass die prä- und postnatale ĂberfĂźtterung eine maĂgebliche Rolle spielt. Allerdings wird der Begriff âĂberfĂźtterungâ weder qualitativ noch quantitativ definiert. ĂberfĂźtterung kann beispielsweise im Kontext der Trinkmenge, der Inhaltsstoffe oder im Kontext der Sättigungswahrnehmung betrachtet werden. Eine genaue Beobachtung des Trinkvolumens von gestillten und mit Formula ernährten Kindern hinsichtlich Menge und Frequenz der Mahlzeiten kann â unter anderen EinflussgrĂśĂen â Aufschluss darĂźber geben, wie sich dies auf den Wachstumsverlauf und die damit verbundene KĂśrperfettmasse auswirkt.
Kinder nach FĂźtterung aus der Flasche, unabhängig ob dies Formula oder Muttermilch ist, haben ein grĂśĂeres Risiko, später Ăźbergewichtig zu werden. Aufgezwungenes Trinkvolumen spielt dabei eine gewichtige Rolle, wobei die Nichtbeachtung von Sättigungssignalen der Säuglinge den Effekt noch verstärkt. Daher ist ein Ziel des Projekts, eindeutige Sättigungszeichen anhand von Saugmuster, Puls, Sauerstoffsättigung sowie Muskeltonus zu identifizieren, um diese den MĂźttern nutzbar zu machen. Dadurch soll ĂberfĂźtterung vermieden werden kann.
Das aufgenommene Trinkvolumen und die damit verbundene Aufnahme von Makro- und Mikronährstoffen ist relevant. Denn eine ĂźbermäĂige Zufuhr, insbesondere der Makronährstoffe, fĂźhrt zu einem Ăberangebot an Nährstoffen und damit verknĂźpft zu einer Ăberversorgung des sich entwickelnden Kindes. Somit ist die quantitative Erfassung des aufgenommenen Trinkvolumens ein weiteres wichtiges Ziel des Forschungsprojekts.
AuĂerdem ist es ein Ziel des Forschungsvorhabens, das Wachstum der Kinder in den ersten zwei Lebensjahren zu verfolgen, um daraus eindeutige Indikatoren zur Entwicklung von Ăbergewicht in Abhängigkeit vom FĂźtterungsstil abzuleiten. Spezieller Fokus wird dabei auf den Verlauf der Zunahme der KĂśrperfettmasse gelegt, da Fettzellen des Fettgewebes als HormondrĂźsen wirken, die die Entwicklung des Organismus wesentlich beeinflussen.
Eine durch Ăberernährung in den ersten 16 Lebenswochen induzierte Fehlprogrammierung der Hormonachsen spielt eine entscheidende Rolle fĂźr den Verlauf der Gesundheit eines Menschen. Der biologische Pfad zu Adipositas und damit verbundenen sekundären subakuten Erkrankungen scheint damit geebnet zu sein, wenn sich das Fettgewebe aufgrund negativer Einflussfaktoren untypisch entwickelt.
Zur Identifizierung von Vorgängen auf physiologischer beziehungsweise molekularer Ebene werden relevante Biomarker in diversen biologischen Proben von Mutter und Kind bestimmt. Dazu werden sowohl Hormone des Energiehaushaltes und der Stressbalance als auch Sättigungshormone und Entzßndungsparameter gemessen. Zudem wird das Mikrobiom erfasst, da die Zusammensetzung der Darmflora wesentlich die Entwicklung eines Menschen beeinflusst.
Die Ergebnisse der anthropometrischen Messdaten â wie BMI, KĂśrperfettmasse sowie Wachstumstrajektorien â und der ErnährungsfragebĂśgen werden in Beziehung zu den molekularen Faktoren gesetzt. So sollen mĂśgliche Korrelationen in Abhängigkeit der FĂźtterungsstile entdeckt und damit molekulare Vorgänge bei der Entstehung von Adipositas identifiziert werden.
Zurzeit gibt es keine evidenzgestĂźtzten Daten Ăźber die tatsächliche Trinkmenge und das FĂźtterungsverhalten von mit Formula ernährten im Vergleich zu gestillten Babys. Innovativ ist die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Trinkvolumen und Wachstumsgeschwindigkeit des Säuglings in Verbindung mit der Analyse der KĂśrperzusammensetzung â des Fettanteils â sowie der Analyse der Makronährstoffe und des Energiegehalts der Muttermilch. Auch das longitudinale Design des Forschungsvorhabens ist neuartig. Es werden am errechneten Geburtstermin geborene gesunde Kinder betrachtet.
Die weltweite Prävalenz von Adipositas hat sich seit den 1980er Jahren laut Studien der Weltgesundheitsorganisation verdreifacht (WHO, 2013). In Ăsterreich ist sie beispielsweise von 2008 bis 2012 bei Mädchen von zehn auf 16 Prozent und bei Jungen von zwĂślf auf 17 Prozent gestiegen (BMG, 2012). Ăbergewicht als Risikofaktor ebnet den Pfad zu Adipositas, die zu zahlreichen sekundären schwerwiegenden Erkrankungen fĂźhrt. Fettleibigkeit ist heutzutage der fĂźnftgrĂśĂte Risikofaktor fĂźr einen vorzeitigen Tod. Eine effektive Präventionsstrategie ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor zur Bekämpfung dieser Entwicklung. Neue Strategien werden vorangetrieben, wie etwa die Entwicklung und Implementierung von Gesundheits- und Betreuungsprogrammen während und nach der Schwangerschaft (WHO, 2016).
Die Entstehung von Adipositas ist multifaktoriell und keineswegs vollständig erforscht. Eine wichtige Rolle spielt allerdings die Prägung des Stoffwechsels durch frĂźhkindliche Ernährung. Sowohl die Ăber- als auch die Unterernährung in der fetalen Periode â gemessen an niedrigem und hohem Geburtsgewicht â und in der frĂźhen Kindheit tragen zur Entstehung von Adipositas und Typ 2 Diabetes bei.
In der Phase der rasanten Entwicklung und Differenzierung der Organe vor und nach der Geburt kĂśnnen einwirkende Stoffwechsel- und andere Faktoren langfristige Auswirkungen auf die Funktion des Organismus im späteren Lebensalter ausĂźben. FĂźr dieses Phänomen werden die Begriffe âPerinatale metabolische Programmierungâ beziehungsweise âMetabolische Prägungâ verwendet. Die ersten 1000 Tage umfassen die Periode von der Konzeption bis zum zweiten Lebensjahr. Diese Zeitspanne wird als sensible Phase in Bezug auf die Entwicklung des Metabolismus angesehen.